Medikamenten-Engpass! Droht uns der Vorrat auszugehen?

August 15, 2023

Interview mit Dr. Ulrich Lösch, Projekt Meditex | 3D-Medikamentendruck-maschine

Sehr geehrter Herr Dr. Lösch, vielen Dank für die Möglichkeit des heutigen Interviews. Wir sind uns in einem Projekt zum Thema „Personalisierte Medikation: 3D-Medikamentendruckmaschine“ zum ersten mal begegnet. Seitdem beobachte ich das Thema und die Entwicklung der Pharmabranche kontinuierlich.

Die Apotheken in der Schweiz aber auch in Deutschland schlagen Alarm. Lieferengpässe und die damit verbundenen Missstände und Unzufriedenheiten erreichen ihren Höhepunkt. In diesem Zusammenhang freue ich mich auf ihre fachliche Einschätzung.

Katharina Grigolia-Gette: Wie häufig treten Ihrer Erfahrung nach Medikamenten-Lieferengpässe auf und welche Auswirkungen haben sie auf die Patientenversorgung?

 

Dr. Ulrich Lösch: Medikamenten-Lieferengpässe treten bedauerlicherweise recht häufig auf. Je nach Produkt und Situation können sie von zeitlich begrenzten Engpässen bis hin zu längerfristigen Problemen reichen. Die Auswirkungen auf die Patientenversorgung können schwerwiegend sein, da Patienten möglicherweise nicht die benötigte Medikation erhalten und alternative Therapieoptionen gefunden werden müssen.

 

Katharina Grigolia-Gette: Welche Gründe können zu solchen Lieferengpässen führen? Sind es vor allem Produktionsprobleme oder spielen andere Faktoren eine Rolle?

 

Dr. Ulrich Lösch: Die Gründe für Medikamenten-Lieferengpässe können vielfältig sein. Neben Produktionsproblemen, wie etwa Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Rohstoffen oder technischen Störungen, können auch regulatorische Aspekte, Verzögerungen im Zulassungsverfahren oder unvorhergesehene Marktnachfragen zu Engpässen führen. Auch globale Ereignisse wie kürzlich die COVID-Zeit oderpolitische Unruhen können die Lieferkette beeinträchtigen.

 

Katharina Grigolia-Gette: Ist die Herstellung von Medikamenten vor Ort eine realistische Alternative, um Lieferengpässen entgegenzuwirken? Welche Vorteile und Herausforderungen sind damit verbunden?

 

Dr. Ulrich Lösch: Die lokale Herstellung von Medikamenten kann eine vielversprechende Alternative sein, um Lieferengpässen entgegenzuwirken. Durch die Produktion vor Ort kann die Abhängigkeit von internationalen Lieferketten verringert werden. Vorteile sind eine verbesserte Versorgungssicherheit, kürzere Lieferzeiten und flexiblere Anpassungsmöglichkeiten. Allerdings sind auch Herausforderungen wie Investitionskosten, technische Expertise, regulatorische Anforderungen und die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren zu beachten.

 

Katharina Grigolia-Gette: Gibt es bestimmte Medikamente oder Medikamentengruppen, bei denen die lokale Herstellung besonders sinnvoll wäre? Wenn ja, welche und warum?

 

Dr. Ulrich Lösch: Die lokale Herstellung kann besonders sinnvoll sein für lebenswichtige Medikamente, bei denen ein Lieferengpass schwerwiegende Konsequenzen hätte. Dies umfasst beispielsweise lebensrettende Medikamente für seltene Krankheiten, Krebstherapien oder auch bestimmte Antibiotika. Es ist wichtig, dass Patienten, die auf diese Medikamente angewiesen sind, kontinuierlichen Zugang dazu haben. Dies spielt besonders bei kleinen pädiatrischen Patienten eine Rolle, die zwingend auch auf individuelle Arzneimittel-Dosierungen angewiesen sind. Dies betrifft z.B. Diuretika wie Hydrochlorothiazid, Antiepileptika wie Phenobarbital, Blutdrucksenker, Kortikoide oder auch viele Chemotherapeutika, wie z.B. Hydroxyurea Applikationen.

 

Katharina Grigolia-Gette: Welche Anforderungen und Voraussetzungen müssten erfüllt sein, um Medikamente vor Ort herstellen zu können? Welche regulatorischen Aspekte müssen beachtet werden?

 

Dr. Ulrich Lösch: Um Medikamente vor Ort herstellen zu können, müssen verschiedene Anforderungen und Voraussetzungen erfüllt sein. Dazu gehören neben einem Qualitätssystem, welches alle Prozesse umfasst, qualifiziertes Personal, modernste Produktionsanlagen, geeignete Qualitätskontrollen und strenge Hygienestandards, welches das Schweizer Arzneibuch detailliert vorgibt und von den Gesundheitsbehörden im Rahmen von Inspektionen überwacht wird. Zudem müssen sich die lokalen Herstellungsprozesse an aktuellen nationalen und internationalen regulatorischen Vorschriften orientieren, um Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit der Medikamente zu gewährleisten.

 

Katharina Grigolia-Gette: Inwiefern könnte die lokale Herstellung von Medikamenten die Versorgungssicherheit verbessern und wie könnte sie sich auf die Kosten auswirken?

 

Dr. Ulrich Lösch: Die lokale Herstellung von Medikamenten kann die Versorgungssicherheit verbessern, da sie weniger anfällig für internationale Lieferketten und externe Einflüsse ist. Dadurch könnten Lieferengpässe reduziert und die Verfügbarkeit wichtiger Medikamente gewährleistet werden. In Bezug auf die Kosten hängt es von verschiedenen Faktoren ab, einschließlich der Skaleneffekte, der Produktionskosten, der Infrastruktur und der regulatorischen Anforderungen. Eine umfassende Kostenanalyse ist erforderlich, um die Auswirkungen auf die Gesamtkosten des Gesundheitssystems zu bewerten.

 

Katharina Grigolia-Gette: Gibt es bereits Beispiele oder Initiativen, bei denen die lokale Herstellung von Medikamenten erfolgreich umgesetzt wurde? Welche Erfahrungen wurden dabei gemacht? Welche Rolle spielt die Digitalisierung und neue Technologien bei der Herstellung von Medikamenten vor Ort?

 

Dr. Ulrich Lösch: Da den Apotheken nur ein sehr eingeschränkter Gerätepark zur Verfügung steht, der einen automatischen, kosteneffizienten Prozess gerade für orale Präparate nur sehr schwer ermöglicht, haben wir uns die letzten Jahre mit 3D-Technologiebeschäftigt, die sich hierfür ideal eignet. Dazu konnten wir im Rahmen einer universitären Arbeit mit Anlagen wie der MediLab alle Anforderungen der Arzneibuch-Monographie an feste Arzneiformen erfüllen. Dies ist vor allem der hohen Dosiergenauigkeit geschuldet, die durch mikroprozessorgesteuerte, sich selbst kontrollierende Regelelemente garantiert wird. Durch die zahlreichen Steuerelemente lässt sich einfach eine elektronische Herstelldokumentation realisieren,  die die Arzneimittelqualität zusätzlich abbildet und wesentlich zur Prozessverschlankung beiträgt.  

 

Katharina Grigolia-Gette: Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen Apotheken, Krankenhäusern und der pharmazeutischen Industrie aus, um Lieferengpässe zu bewältigen und die Patientenversorgung sicherzustellen?

 

Dr. Ulrich Lösch: Die Zusammenarbeit zwischen Apotheken, Krankenhäusern und der pharmazeutischen Industrie spielt eine wichtige Rolle bei der Bewältigung von Lieferengpässen und der Sicherstellung der Patientenversorgung. Gemeinsame Anstrengungen werden unternommen, um alternative Versorgungsmöglichkeiten zu identifizieren, Engpässe frühzeitig zu erkennen, Informationen auszutauschen und die Nachfragebesser zu prognostizieren. Die offene Kommunikation und Koordination zwischen den verschiedenen Akteuren sind entscheidend, um schnell und effektiv auf Engpässe zu reagieren.

 

MediLab® ist eine innovative 3D-Medikamenten-Druckmaschine, die von der Firma Investry AG in Frauenfeld entwickelt wurde. Diese fortschrittliche Technologie erfüllt die hohen regulatorischen und hygienischen Anforderungen, die für die Medikamentenherstellung erforderlich sind. Es darf erwartet werden, dass diese bahnbrechende Technologie schon in naher Zukunft vermehrt Anwendung finden wird. Sollte eine individualisierte Medikamentenherstellung in lokalen Apotheken möglich und wirtschaftlich umsetzbar sein, können wir uns auf eine sichere und effiziente Gesundheitsversorgung in der Zukunft freuen.